Individualisierung: Es ist ein hoch geschätzter Service, eine recht logisch erklärbare Zukunftsentwicklung (wobei diese Zukunft längst Gegenwart ist) und etwas, dass sehr gefährlich ist.
Landläufig wird der Begriff Individualisierung verwendet, wenn man ausdrücken will, dass etwas genau auf eine Person – ein Individuum – zugeschnitten, angepasst oder individualisiert wird. Das klingt erst einmal gut. Ich bekomme das für mich passendste Programm, Produkt, Service oder Angebot. Kein langes Suchen mehr, keine Enttäuschungen, dafür Zufriedenheit.
In Zeiten von Online Shops aber auch die aufkommende Verbreitung von Wearables (Sensoruhren, Fitnesstrackern…) sorgt dafür, das sehr persönliche Informationen und Daten von uns gesammelt werden und für dieses „Serviceversprechen“ genutzt werden.
Wikipedia spricht auf der anderen Seite jedoch vom „…Prozess eines Übergangs des Individuums von der Fremd- zur Selbstbestimmung “ … hier wurde ich stutzig, nachdem ich heute einen tollen Vortrag vom Journalisten und Social Media Experten Matthias J. Lange ( @redaktion42 ) im Rahmen einer Schulveranstaltung zur Elternaufklärung hören durfte.
Selbstbestimmung setzt für mich voraus,
das ich die Kenntnis der vorhandenen Optionen
und Möglichkeit der willentlichen Handlung habe.
Mit dem wunderbaren Ohrwurm von Pipi Langstrumpf „Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt“ beschrieb Lange, den Service von Google, Facebook und Co. dem Benutzer nur (oder vornehmlich) das anzubieten, was er/sie durch Liken, Kommentieren auch möchte. Analysen (Vorlieben, Verhalten, Netzwerkkontakte…) der Plattformanbieter über unsere Nutzung der meist kostenlosen Dienste wie Navigation, Suchfunktionen, Soziale Netzwerke usw. erlauben es ihnen, jedem Einzelnen von uns genau das anzubieten, was wir uns vermeintlich „wünschen“.
Die Filter-Wirkung:
Im Klartext bedeutet das, ich muss Google nur noch sagen „Geldautomat“ – und ich bekomme den mir nächstgelegenen und nicht einen der zig-tausend anderen. Frage ich Siri ob ich morgen Gummistiefel brauche, werde ich freundlich über deren Sinnlosigkeit des trockenen Wetters wegen hier informiert. Das war im Kleinen auch schon immer so: die nette Bedienung im „Tante Emma Laden“, bei dem jemand jeden Sonntag Brötchen und die Zeitung geholt hat, konnte auch schon beim Betreten des Ladens ins richtige Regal greifen (man kannte ja die Gewohnheiten) – das sind Tugenden von Kundenorientierten Geschäftsleuten – heute funktioniert das einfach nur auf globalem Level.
Die Individualisierung im Netz geht aber noch weiter, so bekomme ich größtenteils die Antworten, die ich hören will. Matthias Land nennt das Beispiel das je nach Standort auf eine Frage, die jeweils regionale passende Antwort gegeben wird, was erst einmal nicht falsch ist, aber verschweigt, dass es eben auch andere Definitionen oder Ergebnisse gibt.
Bayern: Gott = katholisch
Franken: Gott = evangelisch
Indien: Gott = ratet mal…
Individualisierung kommt uns teuer zu stehen!
In diesem Zusammenhang noch der Hinweis, das Individualisierung auch schnell teuer wird. So zahlen Apple Nutzer bei verschiedenen Anbietern für das gleiche Produkt schon mehr als Windows User – hier wird schlicht ausgelesen, mit welcher Hardware und Software der Kunde surft: Apple = Premium = höherer Preis (auch dass ist im offline Handel in verschiednen Branchen üblich – sowohl in der Preisgestaltung als auch im Service…). Verschiedene Online Händler testen auch schon Tageszeit- und Einkaufs-historienabhängige Preise (damit sind nicht Rabatte, sondern das Gegenteil gemeint).
Aber auch Versicherungen schenken uns AppleWatch Uhren oder versprechen Rabatte, wenn wir deren GPS-Tracker in unsere Autos bauen – immer unter der Voraussetzung, das sie die Daten bekommen. So lange wir uns Regelkonform verhalten, ist das für uns von Vorteil… (in der Hoffnung das immer die „Richtigen“ diese Regeln aufstellen)
Was hat das mit Verdummung zu tun?
Beispiel 1 Pegida:
Der Wohnort, ein paarmal „Like“ geklickt, ein paar Videos angesehen, und schon füttert mich Google, Facebook und Co mit immer mehr Inhalten in dieser Richtung. Das kombiniert mit der sowieso schon fatalen Wahrnehmungs“Störung“ (denken Sie jetzt nicht an rote Autos) – wird ein nicht „wacher“ Bürger nur noch mit bestätigenden Aussagen versorgt. Sie können das rote Auto jetzt wieder vergessen. Alles Kritische wird aber ausgeblendet – die perfekte Manipulation – ohne das es der Betroffene merkt, auch wenn er gar kein rotes Auto fährt. Es stellt sich also sehr schnell das Gefühl ein, alle sind (m)einer Meinung und die ist auch noch richtig – alle Ergebnisse bestätigen das ja: Welche Farbe haben gute Autos?
Beispiel 2 Recherche:
Jetzt sind Sie ein wacher Bürger, der Nachrichten auf den Grund gehen möchte. „Was steckt hinter z.B. Chem-Trails“ – auch hier bekommen Sie je nach ihrem bisherigen Verhalten, der politischen Einstellung ihrer Freunde, ihrer üblicherweise oder meist genutzten Quellen (z.B. Bild, FAZ oder YouTube), auch ihrer Verweildauer auf Seiten (nur Bilder kucken oder wirklich lesen) – genau das angeboten, was zu Ihrem persönlichem Profil passt – nicht aber das, was NEUTRAL wäre. Ihr Meinungsbild oder Ihr Wissen wird geprägt nicht von dem was verfügbar wäre, sondern von dem was eine Anbieter für Sie ausgewählt hat.
Diese Filter kann man natürlich ausschalten –
aber nur, wenn man weiß, dass es sie gibt,
und wie das geht!
Das Problem liegt bei uns – nicht bei Google, Facebook und Amazon!
Wer sich über diese Mechanismen informiert, wer sich WEITERBILDET, wer versucht zu verstehen, warum und wie diese Dinge zusammenhängen, ist in der Lage, damit verantwortungsvoll und gewinnbringend umzugehen. Das ist nicht einfach und bedeutet Aufwand – ein Aufwand, den nur sehr wenige Erwachsene – gefühlt (bitte um Korrektur, wenn ich mir hier irre) aber Jugendliche kaum noch auf sich nehmen.
Wenn zunehmend eine immer breitere Masse all das, was sie vorgesetzt bekommt, als „Wahrheit“ empfindet, die gesetzten Filter weder versteht, noch hinterfragt, entsteht Verdummung.
Wer die Regeln nicht kennt, kann das Spiel nur verlieren:
Ich selbst beschäftige mich seit vielen Jahren mit diesen Themen – und doch lerne ich – wie heute – immer wieder Neues. Diesen Aufwand können wir nicht von Jedem verlangen – wohl aber sollten wir uns Gedanken machen, wie wir uns und unsere folgenden Generationen in die Lage versetzen, wieder gute Entscheidungen auf Basis von selbstgewählten Kriterien zu treffen.
Warum ist Deutschland so weit hinterher – und besonders gefährdet?
Auch hier fand ich den Gedanken von Matthias Land sehr gut nachvollziehbar: Die meisten Services im Internet kommen von Anbietern aus den USA. Ich habe selbst dort 3 Jahre gelebt – die Kultur dort erzieht (zwingt) die Menschen dazu, selbst für sich zu entscheiden – und dem Wissen, wer das nicht tut, hat Nachteile. Ich kann mich dort entscheiden, mich NICHT zu versichern, es gibt kaum Grenzen, Kredite zu bekommen…
In Deutschland ist sehr Vieles durch den Staat geregelt – für fast alles gibt es Verpflichtungen, Kontrollen und die Sicherstellung, das niemand „durch das Netz fällt“ (womit ich nichts über die Qualität dieser Fürsorge aussagen möchte)
Diese Staats-Fürsorge hat aber zur Folge, das viele Deutsche sich um Vieles schlicht nicht mehr kümmern, und wenn etwas passiert, mit dem Finger auf die Politik zeigen. Es fehlt hier inzwischen an Selbstverantwortung. Speziell Eltern, die Ihre Kinder mit Sozialen Medien, dem Smartphone oder Tablet alleine lassen mit der Ausrede „das verstehen wir nicht“, verletzt hier in meinen Augen seine Aufsichtspflicht.
Lösungsversuch:
Es macht aber keinen Sinn hier mit dem Finger vom einen zum Anderen zu zeigen. Wir haben alle für uns und erst recht für unsere Kinder die Verantwortung uns weiterzubilden, Dinge versuchen zu verstehen (und ja das ist nicht einfach). Es gibt Schulungsangebote, es gibt tolle Aufklärungsvideos, Berichte, Bücher…
Wir sind es, die bestimmen können, was um uns entsteht – und nur wenn wir wach, interessiert und kritisch sind, werden wir uns weiter entwickeln und positiven Nutzen aus diesen Veränderungen (Digitalisierung) ziehen. Ich gebe mir große Mühe am Ball zu bleiben, meinem Netzwerk verschiedenste Meinungen und Quellen anzubieten, merke aber auch wie leicht man in den Tunnelblick gezogen wird.
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