Florian Junge hat mir auf Managerfragen.org im Rahmen einer Interview-Serie folgende Frage gestellt, die mich jetzt seit ca. 2 Wochen beschäftigt hat:
Das ( http://www.economist.com/node/770819 ) prophezeite Drucker vor 14 Jahren. Was würden Sie ihm aus dem Jahr 2015 berichten, – quasi ZURÜCK AUS DER ZUKUNFT 😉 – wie sich Management in der Next Economy nun tatsächlich verändert hat? Welche Art von Veränderungen können Sie als „Manager Digital Transformation & Change“ bei Continental schon ganz konkret beobachten?
Sehr empfehlenswert dafür das folgende Hörbuch, dass in ca. 14 Stunden viele relevante Bücher des Management Vordenkers Drucker behandelt: https://itunes.apple.com/de/audiobook/was-ist-management-das-beste/id378413358
Hier meine Antwort: (aus dem unglaublich breiten Feld konnte ich nur einige für mich besonders relevante Teile fokussieren)
Lieber H. Drucker,
Ihre detaillierten und weitsichtigen Aussagen haben mich in den letzten Tagen absolut fasziniert. Beim Durchforsten vieler Ihrer Bücher bin ich neben den Grundlagen zu Management:
[box type=“tick“ style=“rounded“ icon=“none“]“klare Aufgaben, richtiger Einsatz, unentwegte Weiterbildung, Management an Zielen ausrichten und der Selbstkontrolle unterwerfen, Hohe Anforderungen mit Verantwortung verbinden, Mitarbeiter für Leistung zur Rechenschaft ziehen“[/box]
auch auf tagesakutelle – oder aus Ihrer Sicht zukunftsweisende Aussagen gestoßen:
[box type=“tick“ style=“rounded“ icon=“none“]“To make knowledge productive we will have to learn to see both forest and trees. We will have to learn to connect.“ – Post-Capitalist Society (1993) Wikiquote[/box]
Die große Klarheit, mit der Sie wesentliche Bestandteile des Management Konzepts beschrieben haben, hilft uns heute, die Schwächen in dessen bisheriger Umsetzung zu erkennen. So sind es vor Allem die von Ihnen beschriebenen Verpflichtungen, die an vielen Stellen nicht ausreichend war genommen werden:
- Management hat soziale Verantwortung im Kontext des Marktes
- Reine Gewinnmaximierung ist als Krankheit zu sehen
- Konzentration der Mission auf die gewünschten Ziele (Nicht Betrieb von Krankenhaus, sondern Verbesserung der Gesundheit)
- Großer Fokus auf Schulungen als Kernaufgabe von Management
- Keine Vorschriften sind die besten Vorschriften
- Gesellschaftliche Innovationen sind mindestens so wichtig wie Technologische
- Das Management ist für die Gesundheit der Mitarbeiter zuständig
- Ethik der Verantwortung: „Alltägliche Ehrlichkeit“ > moralische Werte und Erziehung
- Wer Verantwortung übernimmt erhebt Anspruch auf Autorität (gehört bindend zusammen)
2001 prophezeien Sie lieber Herr Drucker:
[box type=“tick“ style=“rounded“ icon=“none“]„Within 20 or 25 years, however, perhaps as many as half the people who work for an organisation will not be employed by it, certainly not on a full-time basis.“[/box]
Betrachte ich den aktuellen „War for talent“ in manchen Branchen und das wachsende Freelancertum, wird die Brisanz Ihrer Aussage deutlich. Haben sich früher ganze Generationen an einen Konzern gebunden, sind Fachkräfte und Spezialisten heute eher Ihrer persönlichen Kompetenz verbunden. Wer dafür die spannendsten Projekte, die geringste Bürokratie und höchste Wertschätzung zeigt, kann sich über einen passionierten Mitarbeiter freuen… zumindest solange das Projekt läuft. Firmen bewerben sich also aktuell schon bei künftigen Mitarbeitern (z.B. im Software-, Analytics- oder Datenbereich). Das hat großen Einfluss auf Personalprozesse, Identity Management und die „Durchlässigkeit“ von digitalen Werkzeugen. Dadurch kann die Abgrenzung „Intern-Extern“ kann kaum noch aufrecht erhalten werden, was rechtlich besonders schwierig zu lösen ist.
Einer der großen Treiber ist natürlich auch die zurecht raumgreifende Emanzipation und damit geänderte Familiensituation. Wo beide arbeiten, Kinder haben oder vermehrt auch Pflege der Eltern übernehmen, sind herkömmliche 5×8 Stunden Verträge nicht mehr praktikabel. Dafür hat sich die Technologie bereits so weit entwicklelt, das „Arbeit“ in vielen Bereichen nicht mehr an Ort, Zeit und Anwesenheit gebunden ist. Arbeiten in virtuellen Teams (und das beginnt bereits wenn einer nicht vor Ort sein kann) muss jedoch von vielen erst noch gelernt werden > Kulturwandel.
Sehr deutlich sprachen Sie den Demographiewandel an:
[box type=“tick“ style=“rounded“ icon=“none“]„creating new employment patterns to attract and hold the growing number of older people (especially older educated people) will become increasingly important.“[/box]
Trotz Ihrer nachvollziehbaren Berechnungen und Voraussagen gibt es bis heute kaum Konzepte, wie Mitarbeiter mit schweren Arbeiten, langfristig beschäftigt werden können. Auch die derzeitige Verrentung um die 60 Jahre ist weder volkswirtschaftlich tragbar, noch in seiner abrupten Art für die meisten Mitarbeiter wünschenswert. Ein langsamer Übergang ist psychologisch wesentlich „gesünder“ für beide Seiten. Next Ecomomy muss sich noch viel stärker um diese wachsende Bevölkerungsgruppe kümmern – derzeit wird sie vornehmlich als Kunde (wenn wohlhabend) oder Belastung (wenn gesundheitlich oder finanziell belastet) gesehen – das ist sicher zu kurz gegriffen und deren Lebensleistungen nicht angemessen. (Soziale Verantwortung)
[box type=“tick“ style=“rounded“ icon=“none“]„Politically, this means that immigration will become an important—and highly divisive—issue in all rich countries.“[/box]
Wie dramatisch diese Entwicklung noch werden wird, ist sicher schwer zu sagen. Sicher kann man sich die Frage stellen: Warum sollte jemand auf unseren Wohlstand verzichten? Wir haben bereits diverse Aktionen bei Continental auf den Weg gebracht um hier für Verbesserung zu sorgen.
Zu Ihrer Aussage: „The next society will be a knowledge society.“ geben Ihnen vermutlich die Mehrzahl der Fachleute recht – auf vielen Konferenzen hört man genau das – kombiniert mit Prognosen, dass bis 2020 bis zu 80% der Wertschöpfung nicht mehr mit Produkten erreicht wird.
Ich würde hier noch einen anderen Aspekt einbringen, da mir „Wissensarbeit“ zu einseitig ist. Transparenz, Austausch, eine neue Art des sozialen – kontinuierlichen Lernens (das Sie ja vorausgesagt haben) ermöglicht es schon heute im „Co-Working-Modus“ fachübergreifende und vor allem neue Lösungen zu erarbeiten. Gefühlt haben wir bis von ca. 8 Jahren stetig bestehendes verbessert – heute, getrieben durch die vielen Möglichkeiten der transparenten und scheinbar grenzenlosen Zusammenarbeit, sind es die direkten Kombinationen von Fachgebieten, die uns Innovationen bringen: Biologie mit Elektrotechnik, Hardware & Software, Natur und Geisteswissenschaft fangen an, gemeinsam begeisternde neue Lösungen zu entwickeln.
Die große Herausforderung liegt darin, mit den dafür notwendigen medialen Kompetenzen die Gesellschaft nicht zu spalten. Wie Sie richtig schreiben, könnte jeder alles lernen heute – eigentlich sind jedoch begleitete Bildungskonzepte notwendig, die dafür die Basis schaffen (Diziplin, Fähigkeit des Denkens und Verknüpfens). Zudem fehlt vielerorts noch die Wertschätzung von Autodidakten.
Mich persönlich freut besonders, dass unsere Personalvorständin hier klare Weichen stellt. Der Lebenslauf verliert an Bedeutung – „Best Fit“ ist im Fokus. Das bedeutet, dass für eine Aufgabe nicht mehr zwangsläufig das richtige Studium erforderlich ist, sondern persönliches Interesse und Erfahrung. Damit wird „wollen und können“ wichtiger als Scheine!
Was mich besonders umtreibt, ist die von Ihnen beschriebene Kernaufgabe des Management „Lernen“ – das heute über diverse Formate nicht mehr nur in Klassenräumen statt findet. Leider haben viele Manager noch nicht das notwendige Vertrauen in Ihre Mitarbeiter, das diese sich wirklich weiterbilden wollen. Christian Kuhna (Adidas) hat das letztens so treffen mit „legalize learning“ bezeichnet, und meint damit neben Bereitstellung der Ressourcen auch den freien Zugang zu YouTube und anderen Kanälen, die hervorragend Kompetenzaufbau begleiten können.
Next Economy hat für mich jedoch auch neue Facetten, die sich langsam ausbilden. In einer Zeit, in der Computer, die Leistungsfähigkeit unserer Gehirne (Geschwindigkeit, Rechenleistung, Fehlerfreiheit) schon übersteigt, liegt die Zukunft im Fokus auf der menschlichen Besonderheit kreativ zu sein und kulturschaffend zu wirken. Kunst und Musik sind solche Ergebnisse. Wenn unsere Manager (wir nennen Sie heute – wenn Sie über diese Fähigkeiten verfügen – Leader) in der Lage sind ihr teilweise freiwilliges Team wie ein Jazz-Orchester zu führen, entstehen „übersummative Ergebnisse“ (vergleich Prof. Kruse „Redefinition von Leadership“ https://youtu.be/tn4Ps6OsCc8 ).
Link zur gesamten Präsentation / Link zum Keynote Beitrag
Wir sehen bei Continental bereits immer mehr Manager, die nicht nur physisch „Wände einreißen“ um neue offene Arbeitsformen zu ermöglichen, sondern auch die Wände in den Köpfen z.B. durch agile Methoden und moderne Technologien, aber auch gezielt durch unsere Kulturentwicklungsinitiativen. Es wird nach neuen Organisationsformen gesucht und das Verständnis für Werte-basiertes Führen (Vertrauen, Verbundenheit, Freiheit, Gewinnermentalität) wirkt sich immer mehr aus. Es ist ein Wandel, der – wenn ich die Prognosen von Ihnen betrachte – wohl nicht so schnell geht, bis er ALLE erreicht – aber schon sehr deutliche Formen annimmt. Die Liste der „darwinschen Opfer“ (YouTube), welche sich nicht rechtzeitig anpassen konnten, wird auch bei ehemaligen Weltmarkführern immer länger.
Ich danke Ihnen für die ausgezeichnete Arbeit (wenn ich mir diese Anmaßung eines Urteils erlauben darf) – es ist eine wunderbare Basis. Darauf können wir heute Aufbauen und neue Methoden entwickeln, die Ihren vorausgesagten Veränderungen Rechnung tragen. Die Herausforderung ist, Ihre Werkzeuge für „planbare komplizierte Organisationen“ jetzt weiter zu entwickeln, damit Sie für unsere „komplexe nicht vorhersagbare New Economy“ funktionieren.
Mit besten Grüßen aus der Gegenwart
Harald Schirmer
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