Vor einigen Monaten wurde ich zu einem Interview zum Thema „Lebenslanges Lernen“ eingeladen. Hier die Text-Version in der Hoffnung, damit ein paar Impulse liefern zu können, die die Relevanz verdeutlicht. Auch wenn ich den Begriff nicht mag (erinnert eher an Gefängnis), möchte ich dazu verhelfen, das Lernen eine neue Leichtigkeit, Freude und vor allem ein „WIR“ bekommt…
Für mich sollte die Zeit vorbei sein, in der Menschen darauf warten von anderen gesagt zu bekommen, was – wann – wie und wo sie lernen müssen. Im Wandel ist das Interesse an der Welt und was sie bewegt elementar … und sei es nur um stress- und angstfreier mit den vielen Innovationen umgehen zu können.
Idealerweise wäre doch konstantes Lernen
Teil unseres intrinsischen Bedürfnisses
eine Zukunft zu gestalten, die wir und
unsere Nachkommen erstrebenswert finden.
Ein Blick zurück – oder das „WHY“ (wozu)
FRAGE: Wann hat es eigentlich angefangen, dass das Thema lebenslanges Lernen gerade für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen so wichtig wurde? Mir kommt es so vor, als war diese Thematik vor einigen Jahren plötzlich überall.
Antwort:
Wir sind mitten in verschiedenen Veränderungen,
die sich gegenseitig verstärken:
- Digialisierung und damit verbundene exponentielle Effekte (Innovation, Bewegungen, Beteiligung, Transparenz…)
- Vernetzung (alles hat Einfluss auf alles) – inklusive der Verknüpfung von bisherigen Silos (Bio-Elektro, Ernährung-Arzeimittel, Mensch-Maschine, Natur-Energie…)
- Gesellschaftlicher Wandel – Respekt von Individualität / Achtsamkeitsbewegungen
- Demokratisierung
- Globalisierung
- Umbau von Organisationsstrukturen (Hierarchie-Netzwerke) – weit über Effizienzsteigerung hinaus
- Neues Verständnis von Führung (Management-Leadership)
- Neue Geschäftsmodelle (besitzen vs nutzen)
All diese Rahmenbedingungen machen kontinuierliches Lernen unausweichlich da sich dadurch JobProfile, Arbeitsplätze, Werkzeuge, Methoden, Lebensräume, Reichweiten… ständig verändern.
Frage: Welche Rolle spielt die alternde Gesellschaft bei der gestiegenen Bedeutung dieses Themas?
Antwort: Es sind in meinen Augen alle betroffen – genau so wie man mit dem ABI keinen Lern-„Abschluss“ mehr hat erlaubt auch die Rente längst keine „habe fertig“ Haltung mehr. In der Regel wollen auch Ältere dann wieder lernen, weil sie dann „können“ und nicht mehr „müssen“.
Ich möchte dafür sorgen, das Lernen eine neue Leichtigkeit bekommt!
verstärkt durch
positive Selbstwirksamkeitserfahrung
und kontinuierliche Inspirationen
Frage: Inwieweit gehen die digitale Transformation und das lebenslange Lernen Hand in Hand? Ist das eine ohne das andere denkbar?
Antwort: Wie oben beschrieben bedingen sich all die Änderungen – „Digital“ sorgt aktuell für eine große Beschleunigung. Ich bin überzeugt:
Auch ohne Digitale Transformation
würde sich die Gesellschaft in diese Richtung ändern.
Zuletzt zeigt uns Covid, dass Digital nicht nur Treiber sondern auch Lösung für den derzeitigen Zustand ist. Vor 30 Jahren hätte unsere Wirtschaft sicher damit nicht umgehen können (oder die Maßnahmen so nicht umsetzbar gewesen).
Wie schaffen wir die Akzeptanz für dauerhaftes Lernen?
Frage: Wenn Sie über das Thema sprechen – wie sind dann die ersten Reaktionen? Ich denke mir, dass das Lernen als eine auf den ersten Blick unproduktive Tätigkeit nicht immer auf Begeisterung stößt.
Antwort: Kommt auf die Ansprache an. Wer auf persönliche Relevanz erkennt, den Sinn versteht ist in der Regel dankbar für respektvolle, spannende Lösungsangebote.
Die Idee, das jedes Handeln im Businesskontext „produktiv“ sein muss, kommt aus einem maschinistischen Weltbild, in dem man Menschen mit Ressourcen gleichgesetzt hat. Ein Roboter, der gewartet werden muss oder ein „update“ bekommt, ist nicht produktiv und ein Kostenfaktor.
Ein Mensch der NICHT lernt, der nicht reflektiert, übt,
kommuniziert, sich beteiligt und versucht zu verstehen,
ist ein Risiko für die eigene Zukunft und die der Organisation.
Umfragen seit 3 Jahren geben ein eindeutiges Bild: hohe Zustimmung zur Wichtigkeit von Lernen, kaum jemand hat Lernzeit im Kalender geblockt, falls doch – wird fast alles andere höher priorisiert (Chef, Kunde, Meeting, Kollegen).
Für Meetings entschuldigen wir uns nicht,
für 20 Minuten Social Learning müssen sich viele rechtfertigen.
Frage: Welche Rolle spielt unsere Schulbildung dabei?
Antwort: Leider in der Regel eher eine problematische Lernerfahrung, da der „One Size Fits All“ Ansatz individuelle Lernpräferenzen nicht respektiert. Oft wird Lernen auch mit Aufwand, Schwere, Prüfungsangst etc verbunden. Das kann jeder beobachten:
Ein 3 jähriger lernt voller Freude,
Enthusiasmus von und miteinander.Studenten lernen oft alleine,
meist weniger fröhlich und für Grades.
Frage: Gibt es hinsichtlich der Akzeptanz eigentlich Unterschiede nach Branche?
Antwort: Ich vermute dass es Branchen gibt, die schon immer – durch externe Veränderungen – Lernaktiver sind als andere. Ein wichtiges Kriterium dafür scheint mir zum einen die externe Vernetzung und mobil zu sein, zum Anderen ob es einen Reflektions-/Feedback Zyklus gibt.
Schule würde sich sehr schnell, dramatisch verändern,
gäbe es eine langfristige Lern-Erfolgs-Rückmeldung
Frage: Je älter ein Mensch, desto schwieriger fällt es ihm Neues zu lernen. Wie begegnen Sie diesem Argument?
Antwort: Neuronale Flexibilität ist bis ins hohe Alter gegeben, auch wenn ein Kleinkind schneller lernen kann, halte ich es meist für eine Ausrede. Ein 80-jähriger lernt sehr schnell Chinesisch, wenn er sich verliebt. Eine 90 jährige lernt schnell Videokonferenzen, wenn die liebe Nichte ins Ausland geht.
Frage: Gibt es Berufszweige, die sich besonders mit dem lebenslangen Lernen auseinandersetzen müssen? Oder anderes gefragt: Kommt eigentlich irgendein Job daran vorbei?
Antwort: Es gibt sicher Berufsfelder, bei denen Lernen lange ausgeblendet werden kann – aber selbst im Hufbeschlag, beim Buchdruck oder bei Hebammen gibt es laufend neue Erkenntisse (Methoden, Werkzeuge), Verbesserungen oder zumindest Veränderungen (Material, Verarbeitung) … und wenn es am Ende nur die Art ist, wie wir zusammenarbeiten, man Kunden oder Lieferanten erreicht oder die Produkte/Services vermarktet.
Selbst ein Mittelaltermarkt hat heute Webseite,
Social Media Profil, ChatGruppen etc.
Wie kann lebenslanges Lernen erfolgreich umgesetzt werden?
Frage: Welche Geisteshaltung braucht eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter dafür? Und was muss das Unternehmen mitbringen?
Antwort: Wir nennen das „Growth Mindset“ (aktuell bei Working Out Loud oft verwendet) – also Neugier und idealerweise intrinsische Motivation… das ist die Herausforderung für Organisations- und Personalentwickler, dafür fruchtbare Rahmenbedingungen zu schaffen.
Frage: Ich kann mir vorstellen, dass auch „Fehlerkultur“ (Fail fast, fail often) der Sache dienlich wäre. In Deutschland jedoch ist diese nicht sehr ausgeprägt. Was meinen Sie?
Antwort: Hier ist das Problem der Begriff in meinen Augen:
es geht nicht um Fehler machen,
sondern um Scheitern beim Experimentieren.
Also um eine Kultur in der man Zeit und Mut hat, Neues zu versuchen. Den Rückhalt hat auch Gescheitertes zu teilen und damit gemeinsam zu lernen. Hier gibt es noch viel Entwicklungsbedarf – der ist aber individuell und kann von jedem Einzelnen (besonders natürlich von Führungskräften) gefördert werden.
Frage: Wie unterscheidet sich lebenslanges Lernen im Unternehmenskontext vom Schullernen?
Antwort: Schullernen – sehe ich idealerweise als:
generelle Bildung um ein verantwortlich,
moralisch, sozial handelndes Individuum zu werden.
Lebenslanges Lernen ist die kontinuierliche breite oder spezifische Weiterentwickung um an der sich verändernden Gesellschaft teilnehmen zu können und in der Wirtschaft „beschäftigbar“ zu bleiben.
Frage: Wie funktioniert lebenslanges Lernen ganz konkret in der Praxis?
Antwort: Für mich gibt es kaum Unterschiede nach Personas (Manager, Arbeiter, Assistenz, Entwickler, Consultant…). „Social Learning“ ist ein wichtiger Teil – also von und miteinander lernen (on the Job) z.B. über Unternehmensinternes Enterprise Social Media, LinkedIn, Twitter, persönlich vor Ort, dann strukturiertes Lernen von Kompetenzen (LMS) und im „co-invest“ als Mensch sich allgemein weiterzubilden (zu Themen die nur am Rande geschäftsrelevant sind).
Frage: Sehen Sie hier eher eine Bringschuld des Arbeitgebers oder eine Holschuld des Arbeitnehmers?
Antwort: Co-Invest – es liegt in beider Verantwortung. Direkt Arbeits/Jobrelevantes hauptsächlich beim Arbeitgeber, Generelle beim Arbeitnehmer.
Frage: Wie konkret läuft das konstante Lernen ab: Integriert in den Arbeitsalltag, etwa durch mehr Weiterbildungen, oder in der Freizeit durch Onlinekurse oder Fachlektüre?
Antwort: Das ist hochindividuell – wir haben in meinem letzten globalen Großprojekt „alle“ gefragt:
„Wie wollt Ihr lernen?“
…die Antworten waren sehr divers
dem haben wir Rechnung getragen und mehr als ein Dutzend Lernformate angeboten – und gemeinsam erarbeitet – Lernen hat sich an sich dramatisch weiterentwickelt. Zudem kamen natürlich verschiedenste wissenschaftliche Studien die allesamt beweisen, wie divers lernen funktioniert.
Beispiele sind für solche Lernformen, die wir etabliert haben sind: GUIDEs (Lernbegleiter), Foren, Videos, Podcasts, Schulungen, OpenCalls, BarCamps, MarketPlaces, Wikis, virtuelle Trainings, Peer Coaching, Mentoring, Classroom, YouTube, SocialMedia, Microlearning, Learning Bites, Inspiration Sessions, Keynotes, Learning by Doing, Lernen durch Lehren, VR-Events, PechaKucha, Hinweise auf TED Talks…
Frage: Ich kann mir vorstellen, dass es auch auf die Unternehmenskultur ankommt, wie lebenslanges Lernen ankommt und umgesetzt wird. Welche Erfahrung haben Sie da gemacht?
Antwort: Über die Unternehmenswerte der Continental AG versuchen ich diese Kultur zu entwicklen – die passen sehr gut zu einem individualisierten und gemeinschaftlichen Lernen. Vertrauen, Verbundenheit, Freiheit, Gewinnermentalität sind perfekt als Grundlage.
Auch die neuen virtuellen Formen von Zusammenarbeit, CoCreation, Agil, Transparenz, Sharing fördern eine offene, inspirierende Lernkultur.
Lernen wird in meinem Umfeld
als übergeordnetes Ziel von
Change, Communication, Training, Support integriert.
Frage: Kann es beim Lernen im Arbeitskontext eigentlich ein Zuviel geben? Wenn ich daran denke, dass sich in vielen Bereichen die Komplexität der Aufgaben konstant erhöht und auch die Zahl arbeitsbedingter Krankheitsfälle wie etwa Burnout oder Depression ansteigt, könnte ich mir vorstellen, dass bei den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern irgendwann ein Limit erreicht ist.
Antwort: Lernen wird in meinen Augen zu eng gesehen.
Zum Lernen gehört auch
Ausruhen, Wirken lassen, Nachdenken, Reflektieren,
Austauschen und vor Allem ÜBEN …
das wird aktuell völlig unterschätzt.
Oft wird fehlende „usability“ oder „nicht selbsterklärend“ als Problem genannt – oft liegt es aber an der fehlenden Investition in den gesamten Lernprozess:
Beispiel: Ein Klavier ist doch selbst-erklärend, es gibt nur schwarze und weiße Tasten, oben hohe unten tiefe Töne… doch bis es gut klingt, dauert es Monate/Jahre/ein Leben lang.
Welche Rahmenbedingungen wirken förderlich?
Frage: Ich denke mir, dass digitale Technologien hier eine Schlüsselfunktion einnehmen. Nun hat Deutschland aber hinsichtlich Netzausbau und Digitalisierung (Stichwort: „Digitalpakt Schule“) hier nicht gerade eine Vorreiterrolle inne. Gibt es Auswege aus diesem Dilemma?
Antwort: Leider wird hier viel zu viel geredet und mit Fingern auf andere gezeigt. Wenn wir bei uns anfangen und vorhandene Technologien nutzen, erzeugen wir die notwendigen Erlebnisse, die andere wiederum brauchen um sich zu bewegen.
Mir geht es viel zu viel um Technologie, Tools und Netze – die sind wichtig aber viel schwerer ist es Verhalten zu verändern, echte Bildung zu betreiben und idealerweise vorher zu überlegen, was unser Ziel ist. Ich erlebe bei vielen LehrerInnen eine enorme Belastung, bei Schulverwaltung Überforderung und bei den Verantwortlichen in den Kultusministerien „MicroManagement“ als Schockantwort auf die Dynamisierung dieses Bürokratiemonsters. Mit dem Finger zeigen hilft nichts – Verantwortung abgeben, Transparenz und besinnen auf was es WIRKLICH ankommt — sicher nicht Noten.
Aktuell verschlechtert sich in vielen Fällen „Schule“ durch Digitalisierung, weil für echte „Digitalität“ unausgebildete, überforderte Lehrer alleine-gelassen alte Didaktiken digital abbilden. (Frontbeschallung im HomeSchooling)
Im Organisationskontext sind die meisten da schon viel weiter. Ich nehme an, dass lebenslanges Lernen nur dann funktioniert, wenn die Mitarbeitenden es flexibel in ihren Arbeitsalltag integrieren können. Da wiederum sehe ich auch Konflikte mit den Führungskräften, denen es oft vor allem darum geht, dass die Arbeit erledigt und Projekte pünktlich fertig werden.
Führen heißt auch vorweg gehen. Erst wenn eine Führungskraft die Dringlichkeit und Notwendigkeit der persönlichen Weiterbildung erkennt, und die Früchte erlebt, wird das in der Regel auch nachhaltig weitergegeben oder eingefordert.
Wir haben für unsere GUIDEs 10% eingefordert und das VorstandsOK dafür geholt – diese Zeit wird üblicherweise locker „reingeholt“
Frage: Was sagen Sie Menschen, die meinen, sie hätten keine Zeit, um Neues zu lernen?
Antwort: Das es eine persönliche Entscheidung ist und weniger um Zeit als um Priorität geht.
Das es eine persönliche Entscheidung ist, ob man die Digitale Transformation als Revolution mit Stress und Überforderung erlebt, oder als „gechillte“ Evolution in der wenig Überraschendes passiert.
Welche Erfolgsgeschichten sind bekannt?
Frage: Gibt es Länder, in denen lebenslanges Lernen besonders erfolgreich praktiziert wird?
Antwort: Im asiatischen Bereich scheinen die Menschen offener für Veränderung zu sein, in Deutschland fangen wir gerne erst an, wenn es unausweichlich ist. (Positiv formuliert, wenn eine Reife und Qualität erreicht ist)
Frage: Und können Sie bestimmte Unternehmen nennen, die Sie als Benchmark betrachten?
Antworten: Wir haben immer mehr tolle Kollegen und Führungskräfte, die Organisationen stark nach vorne bringen. Auch im Bildungsbereich gibt es unzählige, hochmotivierte Lehrer, Schulleiter – die gerade alles geben und versuchen – leider werden die aktuell zu stark eingeregelt und damit demotiviert.
Es sind in der Regel Netzwerke,
die hoch innovativ und lernfreudig sind,
Hierarchien und Behörden sind tendenziell langsamer.
Frage: Gibt es eine Erfolgsgeschichte eines Unternehmens oder einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist und die Sie mit uns teilen möchten?
Antwort: Dazu möchte ich jeden einladen, in einem Sozialen Netzwerk mal nach Hashtags wie #WOL #FrauenStaerken #GUIDEs, #VUCArocker, #Twitterlehrerzimmer, #E20… zu suchen. Ich bin sicher, JEDER von Ihnen kann eine tolle Lernerfahrung schildern.
Global sagt wohl der Satz: „Ich bin nicht allein“ sehr viel aus.
Lernen bedeutet auch,
den Mut zu haben Fragen zu stellen!
Unser globales GUIDE Netzwerk lernt das und erlebt dazu das Vertrauensnetzwerk, dass das wenig Mut braucht. Dafür zu sorgen ist eine aktuelle Führungsaufgabe.
TIPPS & TRICKS
Frage: Was sind ihre drei Tipps, lebenslanges Lernen in den Alltag zu integrieren?
Antwort: Jeder kann, und sollte klein anfangen – und dranbleiben!
- Klein Anfangen, 5 Minuten pro Tag und dran bleiben (Microlearning)
- Vernetzen mit interessanten Menschen (LinkedIn/Twitter für Einsteiger) – Inspiration
- Regelmäßig Lernzeit im Kalender blocken und diese Zeit verteidigen
An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an Martin Schmidt für die spannenden Fragen!
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