Im letzten Post musste ich meiner „Abneigung“ gegenüber Fragebögen etwas Luft machen – warum? Ich werde laufend gebeten solche auszufüllen, bei denen ich mir in der Regel auch wirklich Mühe gebe hier gute Antworten zu geben – der Mehrwert ist aber zumindest für mich recht überschaubar. Es wird versprochen, man erhalte am Ende (oft Wochen später) einen Report, der bisher aber oft hinter meinen Erwartungen zurück bleibt.
Vielleicht nutze aber auch nur ich die Freitextfelder, um die Fragen ernsthaft zu beantworten? Ich sehe aber gerade darin einen Mehrwert – besonders wenn man über die anderen Rückmeldungen dann in Austausch gehen kann. Das passiert leider nie, weil die anonym sind, man die anderen Beantworter nie kennen lernt und die „Fragenden“ Ihre wertvollen Daten mit in die geschlossene Dissertation, Bachelor oder Massenarbeit nehmen.
Ich würde das gerne ändern, deshalb hier einige meiner Antworten vom letzten Fragebogen der TU München zum Thema Leadership transparent – mit der ausdrücklichen Bitte um Feedback, Kritik oder Austausch. (In diesem Fall war es übrigens ein überdurchschnittlich guter Fragebogen)
Ich habe nur die Freitextfragen (gekürzt) herausgegriffen und meine Antworten darunter kopiert:
„ExpertInnenbefragung zur Digitalisierung von Arbeit und Führung“
Die Auswahl der Fragen basierte auf meiner Priorisierung in einer Vorgabenliste – hier waren in meinen Augen jedoch Ursachen, Wirkungen und Lösungen etwas gemischt. Die Fragen fand ich jedoch sehr gut formuliert.
Zunehmende Internationalisierung:
Chancen: | Risiken: |
Der Reichtum der Diversität – wenn als Chance gesehen – kann den Kreativreichtum erhöhen, neue Lösungen fördern und die gemeinsame Mission stärken (Identität) | Gruppen mit starker örtlicher Bindung oder niedrigem Bildungsgrad fühlen sich mehr und mehr ausgeschlossen (siehe aktuelle politische Entwicklung) |
Zunehmende Komplexität, Intensität und Beschleunigung bei der Arbeit
Chancen: | Risiken: |
Komplexität ist nicht mehr planbar – leider ändern sich (noch) bestehende Systeme nur durch enormen (äußeren) Druck – die „nicht-Planbarkeit“ zeigt, das Management im Verständnis von „Command and Control“ nicht mehr funktioniert – und eröffnet damit die Möglichkeit für neue systemische Ansätze wie „Augenhöhe“ | Überforderung |
Strukturelle Veränderungen:
zunehmendem Wettbewerb, erhöhte Unsicherheit und Veränderung des sozialen Kontexts (z.B. Abnahme sozialer Bindungen) und der Arbeitsinhalte (Veränderung von Tätigkeitsinhalten, Entstehung neuer Berufsbilder)
Chancen: | Risiken: |
Es kann das eigenständige Denken fördern – wenn sich die Optionen erhöhen, Wechsel „natürlich“ werden und Risikofreudigkeit belohnt wird, kann eine offene, soziale Lernkultur entstehen, die uns gesellschaftlich und wirtschaftlich (hoffentlich auch nachhaltiger) wachsen läst. Aus Versionen alter Ideen können echte neue Lösungen werden, aus Einzelprodukten können ganzheitliche, vernetzte Systeme entstehen. Ich möchte auch hoffen, dass durch ein ganzheitlichers, globales Verständnis – erkennen, das wir alle ähnliche Grundbedürfnisse haben, aber die Diversität ein Reichtum bedeutet – die Verantwortungsübernahme entsprechend grenzüberschreitend wahrgenommen wird. Erkenntnis: wir sitzen alle im gleichen Boot (oder auf dem gleichen Planeten) |
Besonders Mitarbeiter, die hohen Wert auf Beständigkeit, Verläßlichkeit und Planbarkeit legen, werden sich diese Attribute im digitalen Kontext neu suchen müssen (und es gibt hier durchaus sehr viel Stabilität) – das „Los-Lassen“ von physischen aber auch methodischen Erfahrungen ist mitunter sehr schmerzhaft. Bisher war für viele Kollegen kurz nach der Schulausbildung der Lebens-Lernprozess weitestgehend abgeschlossen – das ändert sich gerade grundlegend. |
Veränderte Kompetenzanforderungen an Führungskräfte:
Führung von diversen Teams, Initiierung von Veränderungen, Umgang mit Unsicherheit und Komplexität, höhere Anforderungen an Agilität, mehr IT-Kompetenzen, interkulturelle und sprachliche Kompetenzen, lebenslanges Lernen, generell höhere Qualifikations- und Kompetenzanforderungen
Chancen: | Risiken: |
Vom bisherigen managen von disziplinarischen Abteilungen (Chef als limitierender Faktor, der alles wissen, kennen und beurteilen/entscheiden muss) – hin zu einem Team auf Augenhöhe mit verteilten Verantwortungen, gemeinsamer Marktbeobachtung, Zusammenarbeit auf (auch) virtueller Basis – global (oder auch nur getriggert durch Teilzeit, Homeoffice oder Reisen) ermöglicht es mit exponenziell mehr Personen, gleichzeitig höherem Beteiligungsgrad (wichtig für nachhaltigen Change) und damit qualitativ höherwertige Ergebnisse zu erzeugen, die durch die technisch ermöglichte Transparenz die „Beteiligten“ nachhaltiger mitnimmt = erhöhte Akzeptanz. Nebenbei sorgen die transparenteren Prozesse für stetiges „Social Learning“, Kompetenzaufbau und Engagement. | Im ersten Moment ist sicher Machtverlust gefürchtet, bis erlebt wird, wie motivierend und effizient bessere Ergebnisse erzielt werden. Die über Generationen gelernte – und immer noch recht erfolgreiche (in nicht-komplexen Umfeldern) Führung wird nicht leicht, schnell bzw umfassend umzubauen sein. Es wird hier viele geben, die sich an diese neue Offenheit nicht heran-trauen.
„You better look good, when naked“ – Wer heute schon wertschätzend führt, muss keine Sorgen haben. Wer Vertrauen durch Kontrolle ersetzt hat (alle Mails auf CC), wer nur TopDown entscheidet und Intransparenz als Schutz empfindet, wird zunehmend in Bedrängnis kommen. In vielen Bereichen herrscht noch das „Menschenbild“: Mitarbeiter sind faul und müssen angetrieben und kontrolliert werden (Was gemessen wird, wird gemacht) – diese Einstellung erzeugt Demotivation, verhindert Beteiligung und Kreativprozesse. Chefs, die „besser als Ihre Mitarbeiter“ sein wollen, werden kaum Potentiale optimal fördern, Kompetenzen aufbauen, Mitarbeiter aus der Abteilung heraus entwicklen (weil es für deren persönliches Wachstum wichtig ist). Wer sich als „Boss“ im Zentrum sieht, wird künftig sehr einsam sein… |
Veränderte Weiterbildung von Mitarbeitenden:
Chancen: | Risiken: |
Verantwortung abgeben funktioniert dann, wenn das Vertrauen aufgebaut ist, das diese auf gesunder Basis übernommen werden kann. Führungskräfte, die gebildete, selbst denkende, vorausschauend handelnde und offen kommunizierende Mitarbeiter im Team haben, können sich auf das konzentrieren, was den wirklichen Unterschied macht: Führen (anstelle von Micromanagement, überall dabei sein und jede Entscheidung treffen zu wollen) Zudem ist, wer sich nach der reinen Lehre von Peter Drucker (Management) richtet, sowieso verpflichtet dazu 😉 |
Die Mitarbeiter können „besser“ werden als man selbst – damit muss man umgehen lernen. Man muss sich auch selbst die Zeit nehmen sich weiterzuentwickeln, um den Mehrwert für das Team sicherzustellen. Die Angst „überholt“ zu werden ist sicher berechtigt, wer den Scheinwerfer aber auf andere richtet, wird auch für diese Kompetenz gesehen werden – man nennt es „enabling“ und das ist nachhaltiger, skallierbarer und erfolgreicher als alles selbst tun zu wollen.
Für HR bedeutet das sehr schnell sich über alternative Karrieremöglichkeiten Gedanken zu machen – oder besser Belohnungssysteme. |
Veränderte Bedeutung beziehungsförderlichen Verhaltens:
Individualisierte Führung, Networking, Teambuilding, Fördern von Kollaborationen, Wertschätzung, Fungieren als Coach und Enabler, Aufbau von Vertrauen und Loyalität
Chancen: | Risiken: |
Es ist schlicht absolut erstrebenswert in einem positiven, wertschätzenden Umfeld mit passionierten Mitarbeitern, die auf einer gemeinsamen Mission sind, zu arbeiten. Man nennt das der Bestimmung folgen – was kann erfüllender sein? | Das Risiko besteht aus meiner Sicht nur für die, die sich nicht bewegen… Wer einmal erlebt hat, wie oben beschrieben zu arbeiten, der wird einen tayloristischen Ansatz nicht mehr akzeptieren. |
Da dieser Fragebogen durch höhere Fachlichkeit und dem Versprechen die Ergebnisse in einer Konferenz zu diskutieren, wollte ich das zum Anlass nehmen diesen im Sinne von „Working Out Loud“ transparent zu beantworten (und hoffe damit nicht gegen irgend ein Copyright verstoßen zu haben). Die Konferenz (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) – und ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse – ist übrigens am 10. Juni die Folgende:
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