Das großartige DATEV DigiCamp LernTeam um Christian Kaiser bietet regelmäßig offenes, aktives von und miteinander Lernen – kostenlos – an. Die mehrtägigen DigiCamps bieten allen MitarbeiterInnen der eigenen Organisation UND jedem/jeder Lerninteressierten ein buntes Programm um inspiriert zu werden und sich beteiligend zu Leadership, Technologien und neuen Methoden und Formaten weiterzubilden.
Am 09. und 10. November war ich eingeladen eine Keynote zum Thema Führung in der Transformation zu halten. Dabei war es mir wichtig einen respektvollen Blick auf die Situation der Führungskräfte zu richten, für die sich in den letzten Jahren sehr viel verändert hat – und man durchaus die Frage stellen kann:
Welche der „Vorzüge“ bisheriger Führung sind noch erlebbar? In diesem Post eine Aufzeichnung der Keynote und – mit etwas Abstand – einige Gedanken dazu.
Hier klicken
um das Video auf YouTube zu sehen
(ich bette keine Videos mehr ein, um Ihre Daten zu schützen)
Management-Kompetenzen
Welche Kompetenzen wünschen sich die TeilnehmerInnen von ihren Führungskräften?
Vertrauen, Empathie, Wertschätzung, Vorbild, Inclusion und Vision waren die meist genannten Begriffe
„Weiß alles, kann alles, hat auf alles einen Antwort, entscheidet schnell, ist durchsetzungsstark“… sind zumindest nicht mehr die offensichtlichen Attribute – dennoch versuchen wir uns nach wie vor so zu verhalten.
Etwas als Führungskraft nicht zu wissen,
galt lange Zeit als Makel.
Eigentlich wäre es eine große Erleichterung, andere um Hilfe bitten zu dürfen/können (Die MitarbeiterInnen sind schließlich ExpertInnen im Team). Auch nicht die eigene Ansicht als erstes zu äußern (und damit starke Präferenzen zu artikulieren) und lieber auf aktives Zuhören zu fokussieren, ist doch interessanter (es schafft Zeit zum Nachdenken und eröffnet den Reichtum der Erfahrungen und Perspektiven der KollegInnen). Zuletzt schafft andere um Hilfe zu bitten Vertrauen und Nähe während sich gleichzeitig die helfende Person als „wirksam“ erleben kann (=Engagement)
Parallelen finden sich hier sicher auch in den Familien, in denen Augenhöhe die früher oft verbreitete „HERRschaft“ verdrängt. Rollen, Verhaltensweisen und die zu Grunde liegende Haltung verändern sich deutlich.
Ca zwei Drittel des Managements wird noch als zumindest „unterwegs“ eingestuft (das sieht jedoch in der Selbsteinschätzung der Führungskräfte meist noch etwas anders aus. Das ist nachvollziehbar, da kaum jemand gerne zugeben mag, einer Erwartung nicht gerecht zu werden).
Kontinuierliche Verbesserung reicht nicht für eine Transformation
Unbestritten sollten wir uns
stetig verbessern in dem, was wir tun.
Verschwendung reduzieren, Effizienz und Effektivität steigern – kontinuierlich an unserer Professionalität arbeiten. Ein Blick auf die Herausforderungen neuer Märkte zeigt, dass „etwas schneller“ kaum reichen wird. Die anstehende Umstellung auf Kreislaufwirtschaft (Ich erlebe in wenigen Bereichen eine Einsicht, welchen massiven Impact diese Herausforderung für uns ALLE bedeutet) kann nicht mit heutigen Produkten, Prozessen, Methoden und Organisationsformen gelingen. Aber auch die nach wie vor größtenteils ungehobenen Schätze der Digitalität zeigen, dass „bisheriges schneller/besser/leaner“ zu machen nicht zum Ziel führen kann.
Aus einer Kerze wird durch
kontinuierliche Verbesserung
niemals ein Laser-Scheinwerfer!
Es braucht also disruptive Sprünge, neue Materialien, Vernetzung bisher unverbundener Fachgebiete, Experten in Gebieten, die wir noch gar nicht kennen, Generalisten mit Breite und systematischem Denken/Handeln.
Wir brauchen Manager, die es ermöglichen,
Regeln, Prozesse, Rollen und die Organisationsform selbst
in Frage zu stellen
> Siehe mein Beitrag zum Immunsystem Organisation (LinkedIn / Englisch)
Risikominimierung an der falschen Stelle
Dem entgegen steht jedoch der Wunsch – oder Drang, sich gegen alles abzusichern, Risiken zu minimieren und nach alter Art alles detailliert planen, vorgeben, umsetzen und kontrollieren zu wollen. Ja gar nicht erst zu beginnen, wenn der zu erwartende Erfolg nicht konkret nachgewiesen, mit Zahlen belegt und Meilensteinen vorgegeben ist. So funktioniert keine Innovation – oder?
Was ist der „ROI“ (Return On Investment) von Lernen, Digitalisierung, guter Führung, Innovation?
Warum versuchen wir etwas
zu berechnen oder zu beweisen,
was absolut selbstverständlich notwendig ist?
Im agilen Arbeiten gibt es dazu viele Hilfestellungen wie „MVP“ – minimum viable products (also kleinstmögliche Zwischenergebnisse). Damit können Innovationsideen „auf Ihrem Weg“ Risiken minimieren, Potentiale aufzeigen, potentielle Kunden inspirieren und Sicherheit im Team und gegenüber einer zukunftsoffenen Führung aufbauen. Gerade in der heutigen Komplexität ist Zutrauen und Freiheit ein Garant für eine Experimentierkultur, die Menschen und Organisation auf die nächste Stufe bringen können.
Top-Down und/oder Bottom-Up?
Mit dem Beispiel verschiedener Planeten versuche ich in meiner Keynote zu verdeutlichen, dass die frühzeitige, intensive Beschäftigung mit Aktionen und Verhalten (Karotten anbauen, Pflanzzeiten, Ertragsberechnung), bevor man den Planeten (das neue Betriebssystem) näher kennt, kaum zielführend sein kann.
Verhalten folgt Rahmenbedingungen,
die durch ein „Betriebssystem“ vorgegeben werden
Bevor wir den Mars (stellvertretend für eine Netzwerkorganisation, einen neuen, digitalen Markt, ein verändertes Menschenbild) nicht näher erfahren oder beschrieben haben und die dort herrschenden oder notwendigen „Natur“Gesetze kennen/gestaltet haben (muss nicht „fertig“ sein, aber eine Beschäftigung damit ist notwendig), sind Veränderungsinitiativen auf MitarbeiterInnen-Ebene kaum hilfreich – da selten eine verständliche und relevante Antwort auf das „Wozu“ gegeben werden kann.
Von Hierarchie zu Agile oder Netzwerkorganisation,
müssen erst die Ziel-Naturgesetze formuliert werden,
bevor Menschen Ihr Verhalten daran orientieren können.
Zu oft sehen wir den Wunsch, das einzelne Teams „agile“ arbeiten sollen, obwohl das Betriebssystem mit allen Naturgesetzen (Budgetzyklus, Verantwortung, Führung, Organisation, Erwartungshaltung, Karriere, Kommunikationssysteme…) unangetastet bleibt.
Als würde man von einem Zahnrad im Getriebe verlangen, sich plötzlich unabhängig von den anderen zu drehen… Das Ergebnis wäre entweder ein Zahnloses Zahnrad ohne Wirkung (wenn das Getriebe sehr stark) oder ein Getriebe, das jeder Änderung des Zahnrads folgt (unwahrscheinlich). Eine Lösung könnte die „Kupplung“ sein – mit der das einzelne Zahnrad, sich nicht mehr an Geschwindigkeit, Drehrichtung etc des Gesamtgetriebes halten muss.
Entwicklungsbereiche
Wir leben in einer Zeit von starker ego… ICH-Fokussierung. Du kannst (solltest) ALLES erreichen, kümmere Dich um DEINE Gesundheit, Freizeit, Familie, Job. Individuelle Erfolgsmessung und stetiger „Wettkampf“ prägen unser Leben. Ob auf Instagram – wer das schönste/erfolgreichste Leben posten kann, oder im Job – wer den leuchtendsten Titel, das größte Büro, das meiste Geld sein EIGEN nennen kann.
Gruppenziele, Projektziele sind ein erster Schritt, Communities und Netzwerke funktionieren jedoch dann am Besten, wenn sich das „ICH“ im „WIR“ als wirksamer erleben kann. Wenn gemeinsames erleben und erschaffen deutlich bessere Erfolge erreicht. Wenn viele Kleine Großes bewirken – haben wir die Möglichkeiten digitaler Skalierbarkeit verstanden. Wenn Perspektiven-Reichtum, Respekt von individuellen Bedürfnissen und allgemein jede Art von Vielfalt nicht mehr als „Wunschkonzert“ oder „die Büchse der Pandora“ genannt werden, sondern als Hebel zum Erfolg eingesetzt werden.
Kein Patentrezept – so viele Möglichkeiten
Wie gerne haben wir ein „Best Practice“ eine ideale Lösung, etwas, das Andere für uns schon ausprobiert, verbessert und risikoarm aber effizient zum Erfolg führt. Wer die unterschiedlichen Stufen von Rahmenbedingungen (simple/kompliziert/komplex/chaotisch) aus dem Cynefin Framework kennt, weiß, das es auf komplexe Fragen kein „Best Practice“ geben kann! Hier die Erklärung
Die digitale Transformation, der Weg in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und die Lösung unserer heutigen komplexen Aufgaben, egal ob Umwelt, Demographie, Kriege… bedarf einer neuen Form Antworten zu finden:
gemeinsam, respektvoll auf Augenhöhe,
transparent, mit fragender Haltung und
ergebnisoffener Investition in vielen kleinen Schritten
Besonders wichtig ist mir hierbei das richtige Verständnis dieser Begriffe:
- gemeinsam bedeutet unter anderem:
digital vernetzt um synchron und asynchron, skalierbar von und miteinander lernen und zusammenarbeiten zu können - respektvoll auf Augenhöhe:
Wertschätzung aller Beteiligten unabhängig von Herkunft, Position, Geschlecht, Alter oder jeglicher „Norm“-abweichung (besonders weil unsere Normen ein Grund für das Dilemma sind) - transparent:
nicht BigBrother sondern „sharing“ wozu und vor allem wie wir tun, was wir tun. Das Veröffentlichen von Endergebnissen erzeugt Angst und Unverständnis, Hinterzimmer sind ungeeignet um Menschen zu inspirieren oder für ein Thema zu begeistern, klassische PUSH Kommunikation (Newsletter, WebCasts, top-down) wird durch moderne PULL Kommunikation (ESN mit Blog, Forum, Wiki, Statusmeldungen, Communities, einem Social Support und Co-kreativen Formaten und Methoden ergänzt. - fragende Haltung:
meint „Gelerntes“ nicht zu vergessen, aber im Rahmen der neuen Möglichkeiten und Anforderungen auf den Prüfstand zu stellen. Eine Offenheit Bekanntes und Unbekanntes neu zu entdecken. - ergebnisoffene Investition:
wohl am schwierigsten, gleichzeitig eine typischen Managementaufgabe, statt taktisch (kurzfristig) wieder mehr strategisch (langfristig) zu planen und in eine mögliche, erstrebenswerte Zukunft zu investieren
Auch die Offenheit keine oder keine eindeutige (messbare) Antwort als hilfreich zu erleben (Komplexität bedeutet, dass es viele Antworten geben wird, und diese sich auch kontinuierlich verändern müssen) … der Mehrwert entsteht auf der Reise! - in vielen kleinen Schritten:
Crowd-Funding statt Jahresbudget, Lernreisen statt einmaligen Kursen, Prototypen statt Final.Final.V5 um Selbstwirksamkeit, Marktentwicklung, Umwelteinflüsse und Veränderungen bei den Menschen respektvoll zu begegnen.
In meiner Keynote versuche ich ein Verständnis für die schwierige Situation zu erreichen, in dem sich das klassische Management aktuell befindet. Wir sind alle Menschen, stehen alle vor den gleichen Herausforderungen, haben Ängste, Vorlieben und Erfahrungen.
Wir sitzen alle im gleichen Boot
es wird Zeit, dass wir
unsere jeweiligen „Superkräfte“ kennen lernen
und diese in den Dienst der Gemeinschaft stellen.Viele davon haben wohl nichts
mit unseren aktuelle Rollen zu tun, oder?
Schreibe einen Kommentar