Harald Schirmer - es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern WIE wir es tun!

Interview mit Anne M. Schüller zu Ihrem Buch „Die Orbit-Organisation“

Anne M. Schueller
Anne M. Schueller

Die Arbeit der Bestseller Autorin Anne Schüller anneschueller.de begeistert mich schon geraume Zeit. Gerade hat Sie Ihre Arbeit für uns wieder durch ein spannendes Buch „lesbar“ gemacht.

In diesem Zusammenhang konnte ich Ihr einige Fragen zur Digitalen Transformation und Ihrer Einschätzung der Situation in Organisationen stellen:

Die ORBIT Organisation vn Anne M. Schüller und Alex T. Steffen
Die ORBIT Organisation
von Anne M. Schüller und Alex T. Steffen

Liebe Anne, mit großer Begeisterung verfolge ich deinen Weg, die Organisationswelt ins Digitalzeitalter zu begleiten. Sehr oft erwische ich mich dabei, zustimmend zu lächeln, wenn ich Deine Beiträge und Kommentare lese. Ich bin maximal neugierig auf Dein neuestes Buch und freue mich, Dir ein paar Fragen stellen zu können:

Mit Deinem zukunftsweisenden „Touchpoint Manager“-Konzept hast Du Organisationen schon eine starke Rolle angeboten, die als Bindeglied, Vermittler und Übersetzer wertvolle Unterstützung auf dem Weg ins Digitalzeitalter und den damit geänderten Voraussetzungen leisten.

Mit Deinem neuen Buch bietest Du jetzt Gestaltungsmöglichkeiten für die gesamte Organisation. Was mir besonders gefällt – im Gegensatz zu vielen „Zukunftsbüchern“, die Organisationen im künftigen Zustand beschreiben – zeigst Du den Weg dahin auf.

Was ist Dir dabei besonders wichtig?

Während meiner Arbeit als Keynote-Speaker und Business-Coach wurde mir in letzter Zeit immer mehr klar, dass klassische Unternehmen meist nur punktuelle Aktivitäten starten, um agiler und digitaler zu werden. Diese beschränken sich in aller Regel auf die Mitarbeiterseite, die Arbeitsplatzgestaltung und neue Arbeitstools.

Anne lebt Zusammenarbeit und menschliche Begegnung

An den organisationalen Basisstrukturen hingegen ändert sich nichts. Die Führung selbst ist weiterhin hierarchisch aufgestellt. Den wahren Grund für die Blockaden beim Aufbruch ins Neuland, sozusagen die heilige Kuh, die geht man also nicht an: das organisationale System als solches. Das heißt: Man dreht zwar an kleinen Schräubchen, aber nicht am großen Rad.

Die gleichen Manager,  die sich regelmäßig das neueste Smartphone leisten, bleiben, visualisiert durch ein übliches Organigramm, einem Organisationsmodell verhaftet, das aus dem tiefsten letzten Jahrhundert stammt. Dass man an diesem Bild weiterhin festhält, sagt mehr aus als tausend beteuernde Worte.

Um aber in unserer Hochgeschwindigkeitszukunft mithalten zu können, ist eine passende organisationale Struktur unumgänglich.

Hierzu haben wir das Orbit-Modell entwickelt. In Rahmen von neun Aktionsfeldern zeigt es Schritt für Schritt den Weg zu einer zirkulären Organisationsstruktur und -kultur, die sich adaptiv und antizipativ auf die Erfordernisse der neuen Zeit einstellen kann.

Im Buzzword Bingo der Digitalen Transformation wird viel über Agile, Dynamik, Effizienz, flache Hierarchien, lebenslanges Lernen, Transparenz, Beteiligung usw. gesprochen. Ich erlebe die Gesellschaft genauso wie unsere Mitarbeiter und Führungskräfte gespalten. Für die einen ist es eine längst überfällige EVOLUTION, während andere in großer Überforderung unter REVOLUTION leiden. Wenn ich respektvoll zuhöre, erlebe ich viel Angst und Ablehnung.

Magst Du deine Gedanken mit uns teilen, wie man es schafft, den Leuten die Angst zu nehmen?

Eigentlich hätten wir heute die besten Voraussetzungen für ein historisch niedriges Angstniveau. Doch die Zukunft ist ungewisser als jemals zuvor. Das bewirkt Verunsicherung, Ablehnung und Angst. Solche Angst ist, weil nicht unmittelbar greifbar, vage, latent und diffus. Sie schleicht sich als kaum konkretisierbare Grundstimmung in unser Leben, in Belegschaften und ganze Bevölkerungsgruppen ein. Diese Form der Angst nennt die Psychologie Binnenangst. Sie frisst an der Seele, raubt Energie und paralysiert. Sie sorgt für Blockaden und Rückzug. Oder sie verursacht aggressives Verhalten.

Es ist also vornehmlich die Angst, die aus den Unternehmen verschwinden muss. Aggression, Angst, Druck und Schrecken sabotieren die Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben, weil die im Angstzustand ausgeschütteten Botenstoffe Synapsen blockieren. Das kennen wir alle als Blackout, als Lampenfieber oder Prüfungspanik. So ist Angst der größte Killer von Leistung und Fortschritt.

Angst macht Unternehmen langsam und dumm.

Wie das kommt? Angst setzt einen zerebrale Mechanismen in Gang, der rationales Denken nahezu unmöglich macht und sich Sachargumenten verschließt. Zudem führt Angst zu einer Verengung des Aufmerksamkeitsfeldes. Eine angemessene Urteilsbildung ist nicht mehr möglich. In Momenten höchster Not können nur noch Überlebensroutinen abgespult werden: abhauen, draufhauen oder totstellen.

Erst dann, wenn wir keine Bedrohungen spüren und unser Geist nicht durch Sorgen vernebelt ist, sind wir bereit für den Wandel und laufen zu Höchstleistungen auf. Ohnmächtig, also fremdbestimmt und ohne Macht zu sein, das macht einen hilflos und schwach. Nur dann, wenn Beschäftigte frei und selbstwirksam zur vollen Entfaltung kommen, können die ganz großen Würfe gelingen. So sind Angstabbau und Vertrauensaufbau für jede Organisation auf dem Weg in die Zukunft elementar.

Top-Keynote Speakerin Anne M. Schüller

Beim notwendigen Umbau der Organisationen werden „respektlose“ Prozesse an Algorithmen übergeben, Effizienz-Notwendigkeiten werden viele – gut beschreibbare – Jobs an Maschinen und Software übergeben. In Deinen 9 Schritten beschreibst Du den Wandel zu mehr Kundenzentriertheit – und meinst damit (in meinen Augen) ja auch die Mitarbeiter.

Wer kann all die Menschen für die neuen Rollen ausbilden, da in vielen Bereichen die neuen Kompetenzen nicht vorhanden sind?

Es ist die gestrige „Command & Control“-Kultur, der sich nun rächt: Die Beschäftigten werden für Konformismus belohnt. Man wird für das Befolgen von vorgegebenen Verfahrensweisen prämiert und für Punktlandungen auf Planzahlen bonifiziert. So wird das, was zu tun ist, im Abarbeitungsmodus „at target, on budget, in time“ erledigt. Heißt: Aus potenziellen Mitdenkern werdenMündel, die (vorgespielt) mehr oder weniger meinungslos auf Anweisungen warten.

Ähnliches passiert in der Personalentwicklung. Topdown werden den Mitarbeitern Trainings verordnet und standardisierte Weiterbildungsprogramme übergestülpt. Diese sind zudem meist rückwärtsgewandt. Man konzipiert Fortbildungen dann, wenn sich Notwendigkeiten zeigen, antizipiert aber nicht die Bedarfe der Zukunft. So kommt es, dass große Teile der Belegschaft den Anforderungen der fortschreitenden Digitalökonomie nicht gewachsen sind.

Vorratslernen von Inhalten, die man für seine Arbeit nicht braucht, verursacht Gleichgültigkeit und Lethargie, verschlingt zudem unnötig Zeit und eine Unmenge Geld.

In Zukunft funktioniert auch die PE selbstorganisiert – und damit just in time auf die individuelle Situation zugeschnitten. Sie erfolgt in Häppchen und interaktiv, meist mithilfe von Online-Modulen, die von überall aus abrufbar sind.

So sind Schulungen, die früher tagelang dauerten, heute über KI-Mentoren oder via VR- und AR-Tutorials, also über Brillen, die einen mit der virtuellen Welt verbinden, innerhalb weniger Stunden absolvierbar. Hemmschwellenfrei kann man sein Wissen auch im Dialog mit digitalen Assistenten vertiefen. Zudem lernt die Belegschaft miteinander, indem sie eigeninitiativ entsprechende Circle bildet und ihr Wissen in Learning Communitys teilt.

Dein Umbau wird für viele Manager, Executives und jene, die im „alten System“ erfolgreich Karriere gemacht haben, vor die Frage stellen: Wie sieht meine Zukunft aus? Karriere muss sich ja deutlich verändern, um den Wandel zu begleiten, gleichzeitig attraktive Anreize schaffen, sich zu verändern.

Wenn nicht mehr Einzelbüro, Dienstwagen und Schulterklappen die „Insignien“ des Erfolges sind, was sind für Dich erstrebenswerte Ziele?

Ich denke, Purpose ist hier eine passende Antwort. Zunehmend verlangen der Markt und die Menschen nach einer Vereinbarkeit von Profitstreben und Nachhaltigkeit. Im Gegensatz zu den selbstherrlichen Leitbildern von früher („Wir sind Marktführer von …, die Nummer eins in …“) ist ein zukunftsfähiger Corporate Purpose sowohl ökonomisch als auch ökologisch und sozial relevant.

International zu Hause – Ihr auf sozialen Kanälen folgen lohnt sich!!!

Und er muss glaubwürdig sein. Die Zeit von Feigenblattaktionen und Sonntagsreden, ohne dass dem wirklich Taten folgen, ist endgültig vorbei. Nicht nur die Nachwuchsgeneration ist offen für ökologisch-soziale Aspekte, eine ethische Grundhaltung und einen sinnstiftenden Corporate Purpose. Das Thema berührt zunehmend alle Menschen.

Die Zukunft unseres Planeten steht auf dem Spiel.

Zudem benötigen wir andere Führungskräfte als früher. Hierarchische Systeme brauchen disziplinarische Vorgesetzte und Management. Netzwerkorganisationen hingegen benötigen Leadership. Ein Leader, also ein Führender, ist vor allem Entwickler, ein Manager vor allem Verwalter. Doch im Digitalzeitalter werden Angestellte zunehmend von Software-Programmen gesteuert. Dies macht das übliche Managen durch Menschenhand mehr und mehr überflüssig.

Führungskräfte der Zukunft werden nur noch für Dinge gebraucht, die Computer (noch) nicht können, nämlich ihren Leuten mit emotionaler Intelligenz und gesundem Menschenverstand zu begegnen. Vor allem müssen sie Türen öffnen, Hürden entfernen und Freiräume schaffen, damit die Mitarbeiter selbstorganisiert arbeiten können. Führende brauchen demnach vor allem Menschenexpertise. Wer die nicht hat, dem ist die Führungslizenz strikt zu entziehen.

Dein ganzheitlicher Ansatz des Orbit Models zeigt ja auf, dass es hier nicht um Einzelaufgaben von IT, HR oder Marketing – alle müssen ran. Rollen, Prozesse, Strukturen, Regeln – wir müssen alles anpassen und verändern.

Was gibt den Mitarbeitern künftig Sicherheit?

Die exponentiell voranschreitende Digitalökonomie erfordert ein Denken und Handeln in neuen Geschwindigkeiten. Lineare Fortschreibungen in die Zukunft sind nicht mehr möglich. Der Planungshorizont wird immer enger, die Vorhersagbarkeit geht gegen Null. Permanente Vorläufigkeit ist die neue Norm. Eine derart unüberschaubare Komplexität erzeugt zwangsläufig Verunsicherung und gefühlte Schutzlosigkeit.

Arbeitsplatzsicherheit gegen Gehorsam, so hieß im Industriezeitalter der Deal. Solche vertikalen Loyalitäten erodieren derzeit massiv.

Obrigkeitshörigkeit gibt es nicht mehr. Horizontale Loyalitäten sind an ihre Stelle getreten. Die Verantwortung wandert vom „Übervater“ zum Individuum.

Dieses rettet sich aus der bedrohlichen Vereinzelung in die Sicherheit der Netzwerkverbundenheit.

So werden Netzwerke überall da zum Sicherheitsnetz, wo herkömmliche Sicherheitsnetze versagen. Die „strong ties“, zu denen traditionelle Familienverbünde, öffentliche Instanzen und lebenslange Anstellungen gehörten, sind obsolet. An ihre Stelle sind die „weak ties“, die lockeren Bande getreten. Im Kreis der Peers, der Gleichgesinnten, der intakten Beziehungen im beruflichen, nachbarschaftlichen und privaten Bereich finden wir Halt und Sicherheit.

Für die Digital Natives ist der Arbeitgeber eines von mehreren Netzwerken, in denen sie sich parallel und zeitunabhängig bewegen. Firmen, die in der Lage sind, netzwerkartige Strukturen nachzubilden, sind für sie einen längeren Aufenthalt wert. Innovative Energie und damit auch Disruptionen brauchen zwingend eine vernetzungsfreundliche Organisation. Und sie brauchen angstfreie Räume. Deshalb wird in florierenden Jungunternehmen auch so viel Wert auf ein Wohlfühlklima gelegt.

Damit sind wir bei meinem Lieblingsthema: Netzwerke. Seit über einem Jahrzehnt bauen wir diese intern auf, exponentielle Erfolge gibt es inzwischen genug. Kaum eine DAX30 Orga hat heute kein GUIDE Netzwerk. Methoden wie Working Out Loud hat großen Zulauf.

Spreche ich mit den Lenkern und Entscheidern in Unternehmen, mache ich meist die gleiche Erfahrung: Netzwerke versteht das Management als „Visitenkarten Rondell“. Agil interpretieren für viele als „ungeplantes lass uns mal machen“. Flache Hierarchien klingen für Top Manager wie befohlener Masochismus.

Drastisch formuliert gibt es doch für jene, die derzeit die Macht innehaben, keinen Grund sich selbst derart zu beschränken oder zu verändern. Insbesondere, weil dort ja noch nicht verstanden wird, was wirklich hinter all den Begriffen wirklich steckt.

Wie können also Netzwerke künftig entstehen, wachsen und „Macht & Verantwortung“ bekommen?

Solange sich die Unternehmen in Silos organisieren, klappt das mit den Netzwerken nicht. Silos sind organisationale Anomalien. Sie verursachen Systembrüche, so dass die Dinge nicht fließen können. In Silos werden Aufgaben entlang von internen Berichtslinien organisiert. Die Hauptaktionsrichtung verläuft dabei vertikal, also topdown und wieder zurück. Die einzelnen Bereiche verfolgen Abgrenzungsstrategien und stehen zueinander in Zielkonflikten.

So verursachen Silos Abschottung und Isolation. Netzwerke hingegen fördern Dialog und Kooperation.

Silos sorgen für den gefährlichen Tunnelblick, Netzwerke für eine reiche Rundum-Perspektive.

Wirklich Neues entsteht an Schnittstellen, in Randbezirken und dort, wo flexible Einsatztruppen bereichsübergreifend agieren – aber niemals in Silos.

Deshalb müssen nicht nur Hierarchien verflacht, sondern vor allem Funktionssilos abgebaut werden. Ein vernetzter Kunde verträgt keine unvernetzte Unternehmensorganisation. Vielmehr verlangt er, analog seiner Customer Journey, eine hochflexible und miteinander verzahnte, seinen Interessen dienende interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Das ORBIT Modell
Das ORBIT Modell

Deshalb propagieren wir im Orbit-Modell nicht nur die Selbstorganisation crossfunktionaler Teams, sondern auch die Rolle der sogenannten Brückenbauer. Diese verknüpfen Fachbereiche und Einzelprojekte miteinander, damit für den externen Kunden alles störungsfrei klappt. Wie das und vieles mehr funktioniert, wird in „Die Orbit-Organisation“ detailliert dargelegt. Gerade wurde es Finalist beim International Book Award.

Herzlichen Dank für das Interview liebe Anne und viel Erfolg mit Deinem neuen Buch … und noch viele so inspirierende Auftritte! Ich kann nur jedem empfehlen Sie live zu erleben!


Die Orbit Organisation
Die Orbit Organisation

Die Orbit-Organisation
In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft                           
Anne M. Schüller, Alex T. Steffen

Finalist beim International Book Award 2019
Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro
ISBN: 978-3869368993

Buch in Ihrem Online Shop bestellen: https://blog.anneschueller.de/lp-orbit-organisation

Die Autorin:

Anne M. Schueller
Anne M. Schueller

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach.
Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen.
Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk XING zum XING-Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr aktuelles Buch „Die Orbit-Organisation“ wurde Finalist beim International Book Award 2019. Zudem wurde sie mit dem BestBusinessBook Award 2019 ausgezeichnet. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.

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