Getriggert zu diesem Artikel bin ich durch die Ergebnisse aus meiner Arbeit mit Künstlicher Intelligenz. Ob mit ChatGPT oder Claude.ai – es ist einfach faszinierend, wie aus langen Texten, großen Datenmengen oder komplizierten Vorgängen so – auf den ersten Blick – einfache, professionell klingende Ergebnisse werden. Immer öfter fällt mir allerdings auf, das etwas fehlt…
Gefühlt nimmt diese Vereinfachung (oder Verkürzung) überall Einzug – um effizienter zu werden, Zeit zu sparen oder sich nicht um alle Details kümmern zu müssen.
Einfache Antworten sind beliebt bei WählerInnen: „Wir bauen eine Mauer“, „Wir schließen die Grenzen“, „Wir verbieten Fleisch, den Verbrenner oder Gendern“… Ein Satz, meist sehr simpel scheint alle Probleme zu lösen, seien sie auch noch so komplex.
Auch beim Lesen sind „Verkürzungsservices“ sehr beliebt. Blinkist oder GetAbstract liefern ganze Bücher auf wenige Minuten oder Zeilen reduziert. Bei Nachrichten kennen wir die Kurzversion schon längst, in Social Media auch.
Selbst Lernen findet immer mehr in Kleinst-Häppchen statt – ich habe selbst ein #Microlearning-Format entwickelt (zur Verteidigung: es dient dazu neugierig zu machen und schnelle Selbstwirksamkeitserfahrung zu ermöglichen – als Einstieg ins Lernen)
Auch im Arbeitsumfeld geht es besonders um Effizienz – Zeit sparen um jeden Preis. Besonders im klassischen Management ist Verkürzung und Vereinfachung auf Kindergarten-Niveau angekommen. Mehr als einen „One-Pager“ liest kaum jemand. Komplexe Inhalte sollen im „Elevator-Pitch“ am besten in 3 Sätzen (zwischen Tür und Angel) zugerufen werden. Den Stand eines Projekts oder einer Initiative berichten wir mit einer Ampel oder einer einzelnen Zahl.
Meine Frage: was genau lassen wir eigentlich weg?
Wenn KI, GetAbstract, das Microlearning oder der Managementbericht so schön kurz sind, worauf verzichten wir aus Zeitgründen?
- Waren alle anderen Worte im konsolidierten Text nur Füllworte, Beiwerk ohne Wert?
- Sind Gestik und Mimik unwichtige Show?
- Waren Redepausen, gezieltes Luftholen, Betonung und differenzierte Redegeschwindigkeit nicht essentieller Teil eines Vortrags?
- Sind beschreibende Adjektive nicht relevante Bestandteile wie wir Dinge tun?
- Ist Vielfalt und deren Respekt und Beschreibung nicht das Erleben von Lebendigkeit?
Meine These:
Wer aus Effizienzgründen auf das „WAS“ fokussiert, verliert nicht nur das WIE, sondern das Lebendige!
Paul liebt Marie. Projekt A ist im Budget. Ausländer kosten zu viel. Frauen verdienen weniger als Männer.
Wir lieben auch die Sätze wichtiger Persönlichkeiten – manchmal scheint es, als könne man deren gesamtes Schaffen auf einen Satz reduzieren:
„Ich denke, also bin ich.“ – René Descartes
„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ – Mahatma Gandhi
„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.“ – Aus dem Film „Forrest Gump“, gesprochen von Tom Hanks
Die Schönheit des Lebens und der Natur drückt sich in beschreibenden Adjektiven, in detaillierten Betrachtungen, im Verweilen und erleben aus.
Den Reichtum an Vielfalt entdecken verlangt danach stehen zu bleiben und zu beobachten, Fragen zu stellen und viel zuzuhören und zuzusehen. Wir entdecken dann Möglichkeiten, Unterschiede, Nuancen die das Leben besonders machen.
Ich möchte einladen, gerade in unserer hektischen und dynamischen Welt, sich Zeit zu nehmen, die Buntheit und Tiefe, die Breite und Veränderlichkeit von Natur und Leben zu entdecken.
Mir fällt auf, wie wichtig es ist, einen Unterschied zu machen, indem wir uns Zeit füreinander nehmen, Zeit ein Thema wirklich verstehen zu wollen.
Ein perfekt gespieltes Musikstück, ein fehlerfreier Ablauf oder ein KI generiertes, scheinbar perfektes Bild mag beeindrucken – sind es nicht aber die lebendigen Variationen, persönlichen Interpretationen, unerwarteten Umwege oder ungeplanten Situationen, die unser Leben bereichern oder im Business für besonderen Erfolg sorgen?
Erst wenn wir durch den Aufwand und die Anstrengung, den Widerstand einer intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema gehen, kann es lebensverändernde Erkenntnisse geben.
So wichtig auch im Arbeitsumfeld schnelle Ergebnisse sind – in der Regel sind diese wenig nachhaltig. In all meinen Projekten der letzten Jahre, sind die Lösungen, die wir intensiv erkundet, gemeinsam entwickelt und selbst noch im Umsetzen respektvoll, veränderungsbereit begleitet haben, die besten.
Das Verständnis und der Erfolg liegen also in meiner Erfahrung viel mehr in der Art WIE wir Dinge tun.
Wenn wir also wollen, das „agile“, „newWork“, die Arbeit mit Netzwerken oder Communities funktionieren sollen, ist es essentiell, sich damit wirklich zu beschäftigen. Das beginnt beim intensiven Lernen, dem eigenen Anwenden und Umsetzen. Der längste Teil ist wohl das üben, wiederholen, austauschen und reflektieren – bis wir selbst erleben, was den Unterschied ausmacht.
Bei der „Train the Trainer“ Methode wird Wissen „durchkaskadiert“ – bei unserem GUIDE-Netzwerk sollte niemand nur „Wissen weitergeben“. Jede/r sollte erst selbst experimentieren und erfahren, was für sie/ihn persönlich das Besondere an dem Tool, der Methode oder des neuen Ablaufs ist.
Wirksamkeit im Lernen erlebt man durchs mutige, schamlose „anders tun“.
Da wir alle in unterschiedlichen Rahmenbedingungen leben/arbeiten, mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Kulturen, Sprachen, Funktionen und mit anderen Zielen arbeiten – entsteht so eine wunderbare Vielfalt an relevanten, individuellen Eindrücken.
Erst wenn man so die eigene „Geschichte“ erlebt hat, kann man diese beeindrucken, überzeugend und authentisch (damit glaubhaft) vermitteln. Als Ergebnis sollten die GUIDEs dann nicht evangelisieren, sondern die Vorteile durch eigenes Tun für ihr Umfeld erlebbar und attraktiv machen – damit einen „Pull-Effekt“ erzielen. Neugierige KollegInnen oder Chefs, die wissen wollen, wie etwas funktioniert sind bessere LernerInnen.
Modern beschreibt man diese Wirksamkeit dann „verkürzt“ mit Design Thinking, Vorbild und Story Telling. Das viele dieser nur oberflächlich bekannten Methoden zu leeren Worthülsen (Buzzwords) führen und kaum wirken können, ist wenig verwunderlich.
Dann ist da noch… – und das gehört für mich auch in diesen Zusammenhang – „usability“
Jahrzehnte war usability (Nutzerfreundlichkeit) als zu teure „Schleifchen und Glöckchen“ verschrieen, und das erste, was knappem Budget zum Opfer viel. Mit dem Internet und dem Einsatz kollektiver Intelligenz, dem Aufkommen von Apps wurde sie jedoch erfolgsentscheidend.
Ich liebe durchdachte Apps, schöne Benutzeroberflächen und nachvollziehbare Navigation.
Tools, Apps, Methoden müssen „einfach zu bedienen“, ja „selbsterklärend“ sein. So sehr ich diesen Wunsch verstehen kann, kann auch diese Reduktion zu einer gefährlichen Verflachung, Standardisierung und Verdummung führen. Am Ende wohl zur „Wertlosigkeit“ (z.B. Jobverlust)
Wenn etwas so stark vereinfacht, standardisiert, automatisiert ist, das es jede/r kann – kann es auch eine Maschine – warum sollte man dann einen Menschen dafür bezahlen?
Was wertvoll ist, sind Expertise, Erfahrung (mit vielfältigen Situationen) und professioneller Umgang – besonders, wenn etwas nicht nach Standard läuft. Das zu erarbeiten kostet Zeit und Aufwand – und das wunderbare Gefühl der „Mastery“
Zuletzt der Blick auf unseren dringenden Wunsch an die Politik, doch klare, einfache allgemein verständliche Lösungen zu bringen, die unsere Probleme lösen – und für „alle“ passen. Es ist schlicht unmöglich. Weder sind die Probleme einfach, eindeutig oder klar, noch sind es die Menschen, die -welches Ergebnis oder Aussage auch immer- beurteilen.
Erst wenn wir die Komplexität und Dynamik heutiger Herausforderungen akzeptieren und die Vielfalt der Beteiligten und Betroffenen respektieren, wird deutlich, dass nur
„Viele Lösungen – gemeinsam erarbeitet“
erfolgreich sein kann. Transparenz und Beteiligung erhöht den Möglichkeitsraum dass unsere kollektive Intelligenz dezentrale UND abgestimmte Lösungen gestalten kann. Auf diesem Weg von und miteinander zu lernen, im Kleinen zu experimentieren und erfolgreiches (anpassbar) zu skalieren wird zu höheren Zustimmungswerten und nachhaltig wirksameren Veränderungen führen.
Die Werkzeuge, Formate und Methoden für eine solch breite, schnelle und wirksame Kommunikation und Zusammenarbeit haben wir – es braucht den Mut, diese zu lernen und so zu nutzen, das wir wieder auf natürlichen – also vielseitigen – Wegen unsere Zukunft gestalten.