Wer neue Wege, neue Produkte oder Services oder ganze Business Modelle finden möchte, braucht Innovation. Wenn plötzlich große Organisationen ernsthafte Probleme bekommen, kleine Startups zu echten Konkurrenten werden und sich Märkte so drastisch ändern, ist Handeln angesagt.
Evolutionär oder Disruptiv?
Unsere Organisationen, politischen Systeme, Bildungsapparate basieren weitgehend auf den Säulen „Hierarchie“ und „Bürokratie“. Mit einer 2000-jährigen Anlaufzeit sorgen diese mächtigen Werkzeuge für geregelte Abläufe, klare Strukturen, definierte Rollen und Verantwortlichkeiten, Berichtswege und Entscheidungshoheiten.
Hierarchie und Bürokratie
funktionieren seriell und linear.
In einer hoch-vernetzten Gesellschaft, allgemeinverfügbarem Wissen, hohem Bildungsniveau (fast alle können lesen und sehr viele verstehen) und „grenzenlosen“ Angeboten (Globalisierung) kommt diese Organisationsform nicht nur an ihre Geschwindigkeitsgrenzen. Wir kennen bereits mit Netzwerken und digitalen Beteiligungsformaten eine Alternative, die annähernd parallel und exponentiell arbeiten kann. (Beispiel)
Respekt vor Individualen Bedürfnissen erhöht die Komplexität
One-Size-Fits-All-Top-Down-Roll-Out ist der hierarchisch optimale, weil effiziente, manage- und kontrollierbare Ablauf. Wir wissen heute, dass Menschen sehr unterschiedlich sind und nur wer diese Bedürfnisse bedient, „erreicht“ seine Kunden (Mitarbeiter, Wähler, Mitglieder…) wirklich. Damit noch nicht genug, die Wissenschaft lehrt uns, nur wer sich „eingebunden“ (beteiligt) fühlt, verändert sich oder etwas wirklich. Nur Wenige trauen sich heute den Reichtum von Diversität zu nutzen – besonders aus Angst der Vielfalt nicht mehr „Herr“ zu werden, mit den entstehenden Optionen sich und Andere zu überfordern.
„Ich hätte es gerne einfach“
– ist keine gute Antwort auf Komplexität.
Hierarchie, Bürokratie, Management, Command & Control, Lean, Projektmanagement… all die „Werkzeuge“ sind wunderbar geeignet für einfache und komplizierte Vorgänge und Probleme. Sie scheitern allerdings an der Dynamik von Komplexität, die wir heute oft VUCA nennen.
Im vergangenen, globalen Projekt bei Continental haben wir die Mitarbeiter mit großer Transparenz eingebunden und z.B. auf die Frage „Wie wollt Ihr Lernen?“ alle Bedürfnisse umgesetzt. Ergebnis: über 20 verschiedene Lernformate, 72% Zufriedenheitsfeedback und der Provider attestiert uns die höchste Nutzungsquote ihrer Kunden.
Fehlerkultur, Experimentieren, Werte!
Was uns erfolgreich gemacht hat,
gibt man selten gerne einfach auf.
Es geht im Kern auch nicht darum Hierarchie und Bürokratie aufzugeben, sondern daneben „etwas“ aufzubauen, was mit Komplexität, Digitalisierung, Vernetzung, Globalisierung etc. umgehen kann. Der viel zitierte Satz: „nicht entweder oder, sondern sowohl als auch“ sollte sowohl Verlustangst nehmen als auch neugierig machen, was „das andere“ sein könnte. Wenn wir für bestimmte Bereiche Regeln „abbauen“, braucht es im Gegenzug starke, gelebte Werte: Vertrauen, Freiheit, Solidarität aber auch statt von außen kommenden Vorgaben – Disziplin.
Effizienz, Struktur und Klarheit
Seit wenigstens 50 Jahren haben wir unsere Arbeitswelt auf maximale Produktivität perfektioniert. Hocheffiziente Prozesse garantieren gleichbleibende, berechenbare Qualität, geringen Ausschuss und hohe Kundenzufriedenheit. Klar definierte Verantwortlichkeiten, Rollen und Aufgabenbereiche bilden ein perfektes Puzzle, in dem sich jeder wiederfinden kann. Organigramme, Strukturen, Leitfäden und Verträge bieten Halt, Klarheit und Verlässlichkeit.
Die Welt im Konzern ist „einfach“, strukturiert und alles hat seinen Platz.
Sie ist optimiert für Stabilität mit „kontinuierliche Verbesserung“
„Denkgefängnisse“ verhindern Innovation
Betrachtet man dieses System jedoch aus der Perspektive: Veränderlichkeit, Reaktionsfähigkeit, Dynamik, Innovation, erlebt man schnell ein sehr enges Korsett. Es gibt für Alles eine Regel, einen Prozess, einen Freigabeweg. Jede Minute ist verplant und optimal genutzt, alles hat seinen Platz, seine Zeit und seine Bestimmung. Überspitzt?
Hand aufs Herz,
wie selbstbestimmt sind Sie wirklich?
Wen oder wie viele müssen sie fragen oder um Freigabe bitten, um etwas anderes, oder etwas anders zu machen? Diese „Enge“ ist keine gute Voraussetzung für Kreativität, Experimentieren oder gar Träumen oder Spinnen. Im effizienten Rahmenwerk des Arbeitstages hat Lernen einen derart reduzierten Platz, dass wirklich innovative Lernformate nicht möglich sind. Sich austauschen – auch über Organisationsgrenzen, sich an Dingen beteiligen, die nicht der eigenen Positionsbeschreibung entsprechen… ist in dieser optimierten Welt nicht eingeplant.
Die Lenker unserer Organisationen und Consultants fordern mit Recht:
Dahinter steckt doch die Erkenntnis, das ein leaner, durchgetakteter Prozess sicher keine – so dringend notwendige, bahnbrechende Innovation hervorbringt, sondern „nur“ gleichbleibende Ergebnisse bzw. kleinere Verbesserungen des Bestehenden. Um es konkret zu machen, wer einen Prozess, der aktuell ein Jahr dauert (z.B. MitarbeiterDialog, Budgetprozess, Produktversion), auf 6 Monate „optimiert“, hat nicht verstanden, dass andere diesen „Prozess“ in wenigen Stunden schaffen. Die Herausforderung besteht darin, das „Kerngeschäft“ nicht zu gefährden oder zu vernachlässigen.
Durch kontinuierliche Verbesserung
wird aus einer Kerze niemals ein Laser-Scheinwerfer
Fehlerkultur klingt natürlich sehr salon-fähig, ist in meinen Augen aber einfach nur falsch übersetzt aus dem Englischen. „Scheitern“ wäre der bessere Begriff.
Geht es nicht darum, das wir jetzt nach Jahrzehnten von Qualitätsinitiativen, mehr Fehler machen sollen – Ärzte, Airbag-Entwickler, Bremsen-Bauer… bis Zement-Mischer – man kann das Alphabet komplett durchgehen – keiner möchte, das Qualitätsarbeit Fehler hat, sonst sterben – im schlimmsten Fall – Menschen.
Es geht um Scheitern im Versuch,
etwas NEUES zu probieren.
Experimente sind Versuche mit anderen Mitteln, auf anderen Wegen, in anderen Kombinationen Dinge zu tun (oder andere Dinge zu tun), die etwas entstehen lassen, was heute keiner kennt. Erfolge von Experimenten entstanden sehr oft in Situationen oder an Orten, wo es keiner vermutet hat – durch „Fehler“ in der Formel, durch Verunreinigungen, durch „Unbeteiligte“, durch Fragen von völlig unterqualifizierten Personen, durch verrückte Ideen, durch Erlebnisse an unbekannten Orten, durch Unsicherheit in neuen Situationen…
Regeln versus Experimente
„Magic happens
outside your comfort zone“
These:
Dem System (gerne verwende ich auch den Begriff Immunsystem) und seinen „Wächtern“ sind die Regeln verständlicherweise heilig – sorgen Sie doch für die notwendige Qualität, Stabilität und Berechenbarkeit. Idealerweise wird also im „Labor“ experimentiert und erst wenn das Ergebnis durch ROI (Return on Investment), KPI (Key Performance Indicators) und all die anderen Instrumente zweifelsfrei nachgewiesen sowie alle Risiken minimiert sind, werden die Regeln angepasst und ein neuer Prozess stellt wiederum Stabilität her.
Die situative Regel untreue
ist Treiber von disruptiver Innovation.
Experimente und deren Wirkung steigern
Betrachtet man Experimente im Bezug auf Risiko und Wirkung, erlebe ich dass dieses idealerweise „aus der Mitte“ kommen sollten:
- Wenn Vorstände experimentieren ist das Risiko sehr hoch und die gesamte Organisation ist betroffen (bedeutet aber auch, dass man hier maximal schnell und wirksam sein kann)
- Mitarbeiter haben oft nicht die Mittel und Wirkung bzw. werden oft nicht gehört – selbst wenn Sie großartige Dinge hervorbringen (Beispiele dafür gibt es unzählige)
- Im mittleren Management und „Zentralfunktionen“ gibt es große Hebel, genug Wirksamkeit und kürzere Wege zur Sichtbarkeit.
Digitaler Reifegrad hilft: Wer Soziale Netzwerke eingeführt hat und diese hierarchieübergreifend nutzt, hat dieses Problem nicht und kann nicht nur aus jedem Bereich starten und „sichtbar“ werden, sondern auch Crowd-Intelligence nutzen um GEMEINSAM GANZHEITLICH innovativ zu sein.
Rückendeckung für Experimentierer (Organisationsrebellen)
Es muss also nicht jeder zum Rebellen werden. Nur jene, die im Sinne der OrganisationsVision neue Wege gehen, Dinge ausprobieren, versuchen zu beweisen, was möglich ist, sollten (be)-geschützt werden, da sie zwangsläufig Regeln in Frage stellen oder brechen müssen.
Einer theoretischen Möglichkeit
wird selten Budget gewährt
– man muss also liefern!
Um es ganz deutlich zu machen, disruptive Innovatoren installieren sich Apps und Software, reden mit Leuten, mit denen man „nicht spricht“, gehen an Orte, die verboten sind, verlassen vorgegebene Prozessabläufe, fragen NICHT um Erlaubnis (sondern bitten um Entschuldigung, wenn sie scheitern), sind öfter mal nicht erreichbar (weil beschäftigt – manche nennen es „deep work“), tun Dinge, die im ersten Betrachten NICHT den Zielen ihrer direkten Führungskräfte dienen, mischen sich in Dinge ein oder wollen Dinge wissen, „die sie nichts angehen“.
Wer in einem Stabilitäts-orientierten
(Immun-)System experimentiert,
macht sich keine Freunde!
Um diese Kreativen nicht auszubrennen bzw. die nicht „unwirksam“ zu machen, braucht es sichtbare Rückendeckung, Freiräume und sehr viel VERTRAUEN und Wertschätzung (nicht erst, wenn der Erfolg da ist). Hier ein wunderbares Beispiel, wie so etwas aussehen kann – mit besonderem Dank an Ariane Reinhart, unserem Personalvorstand.
Persönlich und in meinem Umfeld erlebe ich beide Varianten fast täglich, was mich zu diesem Artikel bewegt hat. Nicht jeder kann sich vielleicht die Demotivation vorstellen, wenn das „Immunsystem“ zuschlägt oder positiv, wenn sich relevante Persönlichkeiten unverhofft hinter einen stellen und Ihr Vertrauen aussprechen.
Erinnern wir uns an den SputnikSchock?
In Zeiten von revolutionären Veränderungen macht es Sinn, in die Vergangenheit zu blicken – oft kann man hier viel lernen. Die Konsequenz aus der damaligen SputnikSchock Disruption, war „entdeckend forschendes Lernen“, also großer Fokus auf neue Bildungskonzepte. Es wurde damals schnell klar, das Eigenverantwortung und Selbststeuerung nicht kompatibel sind mit existierenden Rahmenbedinungen „Lehrer – Schüler Rollenzuweisung“, Feste Arbeitszeiten, Detailvorgaben etc. Treiber ist „intrinsische Motivation“ und Neugier.
Seid mutig, bittet um Unterstützung und geht Gemeinsam! (Kleine Inspiration für Organisationsrebellen)
alles zu seiner Zeit.
Zuerst veröffentlicht auf LinkedIn:
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